"Was machen Sie beruflich?"


Das berufliche Leben als Patchwork, entstanden aus Neigungen, Begabungen und - dem Zufall. Einige "Grundfarben" tauchen immer wieder auf und halten alles zusammen. Mein besonderes Interesse gilt: Sprache(n); anderen Menschen und ihren Lebensgeschichten; alternativen Lebensentwürfen jenseits von Konsum und Hektik; fremden Kulturen (insbesondere China) und den reizvollen Unwägbarkeiten interkultureller Begegnungen.

Montag, 9. November 2015

Flüchtlinge - früher und heute

"Ich habe die Ehre ausdrücklich darum zu bitten, daß die interessierten Konsuln jeden in ihrer Macht stehenden Schritt unternehmen, um jede weitere Ankunft [von] ... Flüchtlinge[n] ... zu verhindern. Es ist nicht nur die Versorgung mit Unterkunft und Lebensmitteln zu bedenken, sondern auch der Grad, bis zum dem jede weitere Anzahl von Flüchtlingen aufgenommen werden kann, ohne den Lebensstandard der bestehenden Gemeinschaft noch weiter zu schädigen." 
Dieses Zitat bezieht sich nicht etwa auf die heutige Situation in Deutschland. Mit diesem Apell wandte sich im Dezember 1938 Cornell S. Franklin, der Vorsitzende des Shanghai Municipal Council an das konsularische Korps, als immer mehr jüdische Flüchtlinge nach Shanghai kamen. Die Stadt war zu diesem Zeitpunkt fast der letzte noch mögliche Fluchtort aus Nazi-Deutschland. Die führende amerikanische Abendzeitung, die Shanghai Evening Post & Mercury, schrieb von einem "in alarmierender Weise wachsenden Problem" und forderte: "Irgendwie wird es nötig sein, diesen Zuzug zu stoppen."

Manchmal hat man das Gefühl, dass seither nichts dazugelernt wurde. Die Floskeln gleichen denen von heute, die Ängste um den eigenen Lebensstardard, das fehlende Mitleid. Viele in Deutschland scheinen vergessen zu haben, dass auch dieses Land Millionen von Menschen in die Flucht getrieben hat und dass hier viele Deutsche leben, die Vertreibung am eigenen Leib erlebt haben. Oder sie sehen keinen Zusammenhang. Zum Glück gibt es auch andere.

1939, in Shanghai, veröffentlichte die China Weekly Review eine scharfe Erwiderung auf den Artikel in der Post:
"Die Post sagte, es sei etwas 'fast Erschreckendes' an der Nachricht, daß zusätzliche 1.000 jüdische Flüchtlinge hier in Kürze mit der Conte Biancomano eintreffen. Es scheint der Post nicht aufgefallen zu sein, daß es viel erschreckender ist, ein Opfer des Nazi-Hasses zu sein und keinen Platz zu haben, wohin man entkommen kann, von keinem Land zu wissen, das mehr zu tun gewillt ist als ... fromme Wort der Sympathie zu äußern."
Alle Zitate aus: Astrid Freyeisen: Shanghai und die Politik des Dritten Reiches. Würzburg, 2000, S. 219f.

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