"Was machen Sie beruflich?"


Das berufliche Leben als Patchwork, entstanden aus Neigungen, Begabungen und - dem Zufall. Einige "Grundfarben" tauchen immer wieder auf und halten alles zusammen. Mein besonderes Interesse gilt: Sprache(n); anderen Menschen und ihren Lebensgeschichten; alternativen Lebensentwürfen jenseits von Konsum und Hektik; fremden Kulturen (insbesondere China) und den reizvollen Unwägbarkeiten interkultureller Begegnungen.

Mittwoch, 19. Januar 2022

Buchbesprechung: Adas Raum

In "Adas Raum", dem ersten Roman der Bachmann-Preisträgerin Sharon Dodua Otoo geht es so ziemlich um alles: Unterdrückung von Frauen, Kolonialismus, die industrielle Revolution mit ihren sozialen Verwerfungen, Faschismus, Rassismus, aber auch Mutterschaft, Freundschaft und Identität. Ziemlich viel auf 317 Seiten. Die Titelfigur Ada begegnet uns im ersten Teil an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten. Sie ist eine Frau im Ghana des 15. Jahrhunderts, der gerade ein Kind gestorben ist, brillante Mathematikerin im England des 19. Jahrhunderts mit Spielschulden und einem Geliebten (angelehnt an die historische Figur der Ada Lovelace) und Zwangsprostituierte in einem deutschen KZ. So unterschiedlich diese Frauen sind, erschossen werden sie alle. Zu jeder Ada, dem Opfer, gibt es einen Wilhelm (bzw. Guilherme oder William), den Täter, aber auch eine Freundin/Komplizin und eine Mutter. Was passiert, erfahren wir nicht nur von Ada, sondern auch von einem Reisigbesen, einem Türklopfer aus Messing und einem Raum in einer Baracke, verschiedene Formen eines Wesens, das eigentlich selbst endlich Mensch werden will. Vorläufig ist es aber gezwungen, in diverse Gestalten (kann auch eine Windbrise sein) zu schlüpfen und in der Geschichte irgendeine Aufgabe zu erfüllen, die ihm selbst nicht richtig klar ist, die aber irgendwie mit einem Armband zu tun hat. Seine erbitterten Debatten darüber mit "Gott" geben dem Roman einen unverhofften Witz und lassen kurz aufatmen nach all den bedrückenden, tragischen Szenen aus Adas Leben.

Im zweiten Teil kommen dann alle Geschichten zusammen. Ada, ghanaische Wurzeln und britische Staatsangehörigkeit (das Wesen ist jetzt ein britischer Reisepass) lebt bei ihrer Halbschwester im heutigen Berlin. Sie sucht eine Wohnung, will Informatik studieren und ist hochschwanger nach einem ungewollten Geschlechtsverkehr mit ihrem Freund. Jetzt ist alles etwas arg konstruiert. Alte ghanaische Frauen, die zufällig ihre Mutter kennen; wieder ein Wilhelm, nur dass sie ihn jetzt rettet; die Geschichte des Armbandes enthüllt sich (ja, auch Raubkunst ist ein Thema). Diskrimierungserfahrungen vermischen sich mit Klischees über Deutsche. Und am Ende das Wunder der Mutterschaft. Nun ja. 

Insgesamt trotzdem ein spannend konstruiertes, dicht erzähltes und immer wieder überraschendes Buch.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen