"Was machen Sie beruflich?"


Das berufliche Leben als Patchwork, entstanden aus Neigungen, Begabungen und - dem Zufall. Einige "Grundfarben" tauchen immer wieder auf und halten alles zusammen. Mein besonderes Interesse gilt: Sprache(n); anderen Menschen und ihren Lebensgeschichten; alternativen Lebensentwürfen jenseits von Konsum und Hektik; fremden Kulturen (insbesondere China) und den reizvollen Unwägbarkeiten interkultureller Begegnungen.

Mittwoch, 30. Dezember 2020

Ein persönlicher Rückblick auf das Corona-Jahr 2020

Wenig überraschend wurde Corona-Pandemie von der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) zum Wort des Jahres 2020 gewält. Das Virus hat das gesamte Jahr geprägt, deutschlandweit, weltweit. Hier mein persönlicher, widersprüchlicher Corona-Rückblick auf dieses Jahr (garniert mit Bildern und Kampagnen zum Accessoire des Jahres):

Kindermasken

- Sprache: Ich habe viele neue Wörter gelernt oder in meinen Alltagswortschatz integriert, Anglizismen (Lockdown, Shutdown, Social-Distancing...), Arztwörter (Indidenzwert, vulnerabel, FFP2-Maske, Triage ...), Wortneuschöpfungen (AHA-Regeln, Alltagsmaske....). Manche Ausdrücke habe ich erst nach einiger Zeit begriffen (Zweimal Happy Birthday singen),  während ich die neue Formel Bleiben Sie gesund sofort in meine E-Mails übernommen habe. Die GfdS hat sich übrigens in mehreren lesenswerten Artikeln mit mit den Auswirkungen von Corona auf die deutsche Sprache beschäftigt.

Foto von Alf Trojan

- Zoom-Konferenz, auch so ein neues Wort. Alles plötzlich online. Online-Kurse, Online-Tai-Chi, Online-Geburtstagsfeiern, Online-Lesegruppe, Online-Weihnachtsessen. Erstaunlicherweise geht das, jedenfalls besser, als ich vorher dachte. Mein schönstes Online-Erlebnis war das Wiedersehen mit einer sehr lieben, früheren Mitbewohnerin beim traditionellen - aber dieses Mal eben virtuellen - Weihnachtstreffen meiner ehemaligen WG. Plötzlich war Maria dabei. Sie lebt schon lange in Spanien und ich habe sie bestimmt zwanzig Jahre nicht mehr gesehen. Spontane Vertrautheit über alle Kabel hinweg. 

- Neue Formen von "echten" Treffen, bewegter und viel öfter draußen. Selbst jetzt im Winter gehe ich mit Freundinnen ein paar Runden im Park, ausgerüstet mit Decke, Thermoskanne und Kuchen für eine kleine Rast auf der Parkbank. Das würde ich gerne beibehalten. Ebenso wie die Tanztreffen mit Jupp im Flur. Swing, mal ein Walzer, aber vor allem Tango. Wir haben sogar die alten Kassetten (ja, Kassetten!) aus unserer Zeit in Buenos Aires wieder ausgegraben. 

- Kulturveranstaltungen: Es wirft vielleicht ein zweifelhaftes Licht auf mich als Kulturschaffende im weiteren Sinne, aber ich muss gestehen, dass mir Konzerte, Theater, selbst Kino nicht besonders fehlen. Es gibt ja noch Musik, Bücher, Filme. Was ich vermisse sind vielmehr Begegnungen mit Menschen, spontan oder geplant, Umarmungen, Diskussionen, gemeinsames Schlemmen... (Alles geht eben doch nicht online.)

- Vorlesen: Ich weiß nicht genau, ob es mit Corona zusammenhängt, aber ich habe dieses Jahr einige richtig dicke Wälzer gelesen (zwischen 700 und 1400 Seiten), Klassiker der chinesischen und deutschen Literatur (Die Reise in den Westen, Die Räuber vom Liangshan Moor, Die Abenteuer des Simplicissimus Deutsch) Und nicht nur gelesen, sondern vorgelesen. Ein richtiges Vergnügen! Als nächstes ist Don Quijote von der Mancha dran.

Mein China-Buch: Es ist coronabedingt nicht im August erschienen und wird nun auch im Januar nicht erscheinen. Vielleicht in der zweiten Jahreshälfte 2021, doch der Verleger wagt keine feste Zusage mehr, da der Reisebuchmarkt, anders als der Buchmarkt allgemein, "dramatisch" eingebrochen sei. Die Hoffnung, dass Menschen gerne von anderen Ländern lesen, wenn sie selbst nicht reisen können, habe sich nicht erfüllt. Frustrierend! 

- Landlust: Seit ich mit 19 mein Heimatdorf verlassen habe und in die Stadt gezogen bin, habe ich mich als überzeugten Stadtmenschen gesehen. Auch unterwegs haben mich eher Metropolen fasziniert, Buenos Aires, Istanbul, Beijing. Jetzt plötzlich kommen mir Gedanken, wie es wohl wäre, auf dem Land zu leben! Das irritiert mich. Hat es mit dem Alter zu tun oder doch mit Corona? Auch in meinem Umfeld stelle ich auf einmal diese merkwürdige Idealisierung des Landlebens fest. Städte verlieren ihren Reiz, wenn sie nicht mehr für eine Fülle an Möglichkeiten stehen und Orte der unverhofften Begegnung sind. Das Land verspricht Platz, einen eigenen Garten, Spazierengehen ohne Menschenmassen, Natur ...

- Bubbles: Jeder lebt in seiner Blase. Theoretisch wusste ich das schon vorher. Aber durch Corona-Diskussionen bis in den engsten Freundeskreis hinein wurde mir so richtig deutlich, wie schwierig Verständigung geworden ist. Nicht einmal darüber, ob dieses Virus nun wirklich schlimm oder doch eher harmlos ist, lässt sich noch Einigkeit herstellen. Und schon gar nicht darüber, was sich dagegen tun lässt. Jede Seite beruft sich auf wissenschaftliche Quellen und gesicherte Informationen. Jede Seite hält die andere für bescheuert, weil sie entweder dem Mainstream hinterherläuft oder sich von Idioten manipulieren lässt. Das ist anstrengend und macht mir Angst.

- Dankbarkeit: für alles Schöne, was ich schon erleben durfte. Für die Reisen, das Leben im Ausland, tolle Feste, innige Umarmungen. Das macht es mir leichter, eine Weile darauf zu verzichten.

Mittwoch, 11. November 2020

Ein Lob auf den November

Auch gefallenes Laub kann leuchten.
No sun

No fun

No leaves

November 

Dieser Spruch soll in die Sitzbank eines Uni-Hörsaales in Hamburg eingeritzt sein. Ich gebe zu, auch mich hat der November-Blues ein bisschen erwischt. Trotzdem finde ich, dass der Monat besser ist als sein Ruf. Warum?

1) Der November ist gar nicht so grau, wie es immer heißt. Viele Bäume verlieren erst jetzt ihr Laub und leuchten vorher noch einmal in den buntesten Farben.

2) Es ist der ideale Monat zum Kochen. Wer sich gerne saisonal und regional ernährt, findet jetzt reichlich einheimisches Gemüse auf dem Markt. Und - anders als im Januar und Februar - hängen einem Kraut und Rüben noch nicht zum Hals heraus.

3) Einsamkeit kann sehr traurig sein, kommt aber, anders als uns die Dichter glauben machen wollen, im November nicht häufiger vor als in anderen Monaten. Wer nicht allein ist, muss die dunkle Jahreszeit schon gar nicht fürchten, denn: "In langen Nächten küsst es sich gut / Verliebte haben den Sommer im Blut" (Max Dauthendey). Auch Wilhelm Busch kannte den reizvollen Kontrast zwischen ungemütlichem Wetter und kuscheliger Zweisamkeit: "Was ist das für ein Gesause! / Es stürmt bereits und schneit. Da bleiben wir zwei zu Hause /  In trauter Verborgenheit / ... / Kein Wetter kann uns verdrießen. / Mein Liebchen, ich und du, / wir halten uns warm und schließen / hübsch feste die Türen zu."

4) Und egal ob mit oder ohne Liebchen, es ist der ideale Monat, um es sich in der Freizeit drinnen gemütlich zu machen, herumzupusseln, einfach mal im Bett zu bleiben, zu lesen, zu malen, zu basteln, zu nähen, Fotos zu sortieren, zu kochen, bei einer Tasse Tee über das Leben nachzusinnen, ... einfach alles zu tun, was man im Sommer bei schönem Wetter oft nur mit schlechtem Gewissen machen kann.

5) Wen das alles noch nicht tröstet, der sei auf die Kraft der menschlichen Phantasie verwiesen. Daran erinnert der Dichter Emanuel Geibel. Er beginnt sein Herbstgedicht mit einer veritablen Herbstdepression: "Ich sah den Wald sich färben / Die Luft war grau und stumm / Mir war betrübt zum Sterben / Und wusst es kaum, warum /" Doch dann sieht er einen Zugvogel wegfliegen und die Stimmung ändert sich. "Es mahnt aus heller Kehle / Mich ja der flücht'ge Gast: / Vergiss, o Menschenseele / Nicht, dass du Flügel hast." 

 6) Und zum Schluss sei hier noch das furiose Herbstgedicht "November" von Heinrich Seidel zitiert, das das herbstliche "Schlackerwetter" so richtig zelebriert.

Solchen Monat muss man loben:
Keiner kann wie dieser toben,
Keiner so verdrießlich sein
Und so ohne Sonnenschein!
Keiner so in Wolken maulen,
Keiner so mit Sturmwind graulen!
Und wie nass er alles macht!
Ja, es ist ’ne wahre Pracht.

Seht das schöne Schlackerwetter!
Und die armen welken Blätter,
Wie sie tanzen in dem Wind
Und so ganz verloren sind!
Wie der Sturm sie jagt und zwirbelt
Und sie durcheinanderwirbelt
Und sie hetzt ohn’ Unterlass:
Ja, das ist Novemberspaß!

Und die Scheiben, wie sie rinnen!
Und die Wolken, wie sie spinnen
Ihren feuchten Himmelstau
Ur und ewig, trüb und grau!
Auf dem Dach die Regentropfen:
Wie sie pochen, wie sie klopfen!
Schimmernd hängt’s an jedem Zweig,
Einer dicken Träne gleich.

O, wie ist der Mann zu loben,
Der solch' unvernünft’ges Toben
Schon im Voraus hat bedacht
Und die Häuser hohl gemacht!
So, dass wir im Trocknen hausen
Und mit stillvergnügtem Grausen
Und in wohlgeborgner Ruh
Solchem Gräuel schauen zu!

Donnerstag, 5. November 2020

Herbstgedichte - zwischen Fülle und Melancholie

"Im traurigen Monat November war's / Die Tage wurden trüber, ...", heißt es bei Heinrich Heine in "Deutschland, ein Wintermärchen". Ja, es ist November geworden und dieser Monat hat einen schlechten Ruf, gilt er doch als hässlicher kleiner Bruder des "goldenen" Oktober. Er beginnt gleich
mit dem Totengedenkttag, die Tage sind schon verdammt kurz und werden jeden Tag noch ein paar Minuten kürzer und trotzdem ist es zur Wintersonnwende und zum weihnachtlichen Lichterglanz noch weit hin. Vom Frühling - "welch sagenhaft fernes Gerücht!" (Mascha Kaléko) - gar nicht erst zu reden.

Veränderung

Das Doppelgesicht des Herbstes, der Übergang von einer Zeit der Fülle, der Ernte, der buntgefärbten Natur zu Dunkelheit, Kälte und Melancholie spiegelt sich in vielen Herbstgedichten wieder. Im "Herbsttag" von Rainer Maria Rilke ist in den ersten beiden Strophen von "Sonnenuhren", "Früchten", "Vollendung" "Süße" und "Wein" die Rede, bevor der berühmte Vers folgt: "Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. / Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben." Der expressionistische Dichter Paul Zech beginnt ein Herbstgedicht mit dem großartigen Satz: "In Glanz und Gnade brennt der Wald zu Tal / Die Bäume halten ihr Gefühl nicht mehr" und endet mit "Der Regen rauscht, vertauscht das Tal. / Der Wald steht schwarz und abgedrängt."

Heine, Zeichnung F.T. Kugel
 Vergänglichkeit

Die Veränderung in der Natur mahnt an die Vergänglichkeit des Lebens überhaupt.  "Das gelbe Laub erzittert, / Es fallen die Blätter herab. / Ach! alles was hold und lieblich, / Verwelkt und sinkt ins Grab!", dichtet Heine. Das "tiefe Weh um Schönheit, die verdirbt" (M. Kaléko), gilt auch für Liebesbeziehungen. "Autumn Leaves", ein Jazzklassiker (nach dem französischen Chanson "Les feuilles mortes") besingt die Sehnsucht nach der (oder dem) verlorenen Geliebten, die besonders stark wird, wenn draußen die Blätter fallen. "But I miss you most of all my darling, when autumn leaves start to fall."

Einsamkeit

Und so scheint der Herbst die Zeit der Einsamkeit zu sein, wie es in dem Gedicht von Rilke oben schon anklingt. "Trübe Wolken, Herbstesluft / Einsam wandl' ich meine Straßen / Welkes Laub, kein Vogel ruft / Ach, wie stille! wie verlassen!" (Nikolaus Lenau: "Herbstentschluß"). "Wie welkt das Herz des wandermüden Fremden, / Der nur die Einsamkeit zur Heimat hat..." (M. Kaléko: "Herbstlicher Vers"), Die Natur legt sich auf die Seele, die trüben Wolken trüben auch die Stimmung. "Wenn ich abends einsam gehe / Und die Blätter fallen sehe / Finsternisse niederwallen..." (Christian Friedrich Hebbel: "Spaziergang am Herbstabend"). 

Melancholie international

Die Herbstmelancholie scheint nicht auf Deutschland oder Europa beschränkt. Sie spricht auch aus japanischen Haikus:

An einem Abend im Herbst / ist es nicht leicht / ein Mensch zu sein. (Issa)

Kahler Herbst. / Nur die Wand nimmt Anteil / an meiner Klage (Issa)

Der Gott ist fern / Die welken Blätter häufen sich / ums verlassene Haus. (Basho)

Doch kann man das alles so unwiedersprochen stehenlassen? Haben der Herbst und gerade auch der November nicht auch positivere Seiten zu bieten? Dazu dann mehr im nächsten Beitrag.

Dienstag, 13. Oktober 2020

Papier ist die neue Weide - Korbflechten mit Altpapier

Arbeitsmaterial
Rohmaterial
Nun also etwas mehr über meine neue Leidenschaft. 

Das Rohmaterial findet sich überall, es gibt zum auch Glück immer noch Menschen, die Zeitungen aus Papier lesen. Doch aus diesem Rohmaterial muss man erst einmal das Arbeitsmaterial herstellen. Dafür schneidet man die Papiere auf eine passende Größe (z.B. eine Zeitungsseite in drei Streifen) und formt daraus mit Hilfe einer Stricknadel und etwas Klebstoff Röllchen, die sich dann verflechten lassen. (Anleitungen dazu gibt es viele im Internet, ich nenne am Ende noch meine Favouriten). Die Röllchen kann man dann auch einfärben, da bin ich noch am Herumprobieren. Ich habe schon mit Speisefarben, Kaffee und Pigmenten aus der Provence experimentiert. Demnächst koche ich mal Tannenzapfen aus.

Das Flechten funktioniert ähnlich wie mit Weiden oder Peddigrohr, wobei Papier auch ein paar Besonderheiten hat, z.B. ist es (angefeuchtet) elastischer und man kann es kleben. Wenn ein Röllchen zu Ende geht, kann man ein neues aufstecken  und weiterflechten. 

Hier ein paar Arbeitsbeispiele: 

Das waren meine ersten drei Flechtwerke. Noch ein bisschen schebbs, aber ich war mächtig stolz darauf. Schließlich muss ich ja auch erst das Material und die verschiedenen Techniken kennenlernen.

Sehr viele Anregungen habe ich auf dem Youtube-Kanal Upcycling der besonderen Art bekommen.


Meine vorläufige "Kollektion"

Samstag, 10. Oktober 2020

Schreiben und Flechten

Seit Mai habe ich fast nichts gepostet, obwohl ich es mir immer wieder vorgenommen habe. Ich glaube, ich war nach der monatelangen Schreibtischarbeit am China-Buch vorübergehend "ausgeschrieben". Ich hatte viel mehr Lust, draußen zu sein, mich zu bewegen und etwas mit den Händen zu machen. 

Und wie der Zufall so spielt, habe ich just in diesem Sommer eine ganz neue Leidenschaft entdeckt, die mich in den letzten Monaten ziemlich in Anspruch genommen hat: Korbflechten. Vielleicht ist es auch kein Zufall, dass es mich so gepackt hat, ich bin familiär vorbelastet: Mein Großvater war Korbmachermeister in Mecklenburg, mein Vater ist gelernter Korbmacher (auch wenn er bald das Büro einer Werkstatt vorgezogen hat). In meiner Familie gab es immer Korbsachen, Wäschekörbe, Körbchen für uns Kinder, Kinderstühle, Einkaufskörbe, die Opa selbst gemacht hatte. Sein Meisterstück, ein wunderschöner Sessel, steht auch im Elternhaus und wird im Moment von der Katze besetzt gehalten. Trotzdem bin ich bis vor kurzem nicht auf die Idee gekommen, selbst zu flechten. 

Flechten ist etwas sehr Archaisches. Menschen haben immer geflochten, mit allem, was in der Umgebung zur Hand war, Gras, Binsen, Schnur, Peddigrohr, Weiden. Meine Großeltern haben selbst Weiden gepflanzt, sie geschnitten, geschält, trocknen lassen...  Eine mühsame Arbeit! Mein Vater erzählt, dass die Weiden nach dem Schnitt gebündelt ins Wasser gestellt wurden, damit sie treiben, dann erst konnte man sie schälen. Als er den Beruf lernte, musste noch jede Weidenrute einzeln geschält werden, später schaffte sich mein Großvater eine Maschine an, mit der man ganze Büschel auf einmal verarbeiten konnte.
Opa beim Weidenschälen

Wenn man der Tradition folgen möchte, das Material aus der Umgebung zu nehmen, aus dem, was im Überfluss da ist und wenig kostet, welches Material wäre dann für einen Menschen wie mich, mitten in der Stadt, geeignet? - Papier! Genau: altes Papier, alte Zeitungen, Reklamebroschüren, ausgelesene Zeitschriften, Kataloge, Telefonbücher... Was man daraus alles machen kann, zeige ich dann im nächsten Post.

Dienstag, 6. Oktober 2020

Klimademo am 25. September 2020

Demozug auf der Reeperbahn
Noch ein kleiner Nachklapp zur Klimademo in Hamburg am 25.9, bei der lt. Organisator*innen immerhin 16.000 Leute waren. Dabei hatte die Versammlungsbehörde wegen des Infektionsschutzes plötzlich nur 2000 erlauben wollen. Doch Fridays for Future konnte sich mit einem Eilantrag beim Verwaltungsgericht durchsetzen. Anders als im verregneten München hatten wir in Hamburg sonniges Herbstwetter. Die Corona-Regeln wurden vorbildlich eingehalten, selbst die Samba-Trommler trugen Masken, und manch einer verteilte sogar Flugblätter mit einer Zange.

Ich gebe zu, ich habe die Aussage noch keinem Faktencheck unterzogen. Aber gegen die gemeinsame Verbesserung von Liebesleben und Klima ist ja nichts einzuwenden.


Sonntag, 31. Mai 2020

Eine Welt "ohne Außen" - Buchbesprechung


Kalligraphie von Sun Yatsen (1924)
In der Corona-Krise wird wieder einmal deutlich, was eigentlich schon alle wissen: Es gibt Probleme, die nicht einzelne Staaten, sondern die Welt als Ganzes angehen und die nur von einer Weltgemeinschaft gelöst werden können. Dazu gehören nicht nur Pandemien, sondern auch Klimawandel und Terrorismus, Hunger, Kriege, Flüchtlingsbewegungen und der Umgang mit dem technologischen Fortschritt. Gleichzeitig wird in Krisenzeiten aber auch immer wieder klar, dass gerade mächtige Staaten oft nicht zur Zusammenarbeit bereit sind und stattdessen nach dem größten Nutzen für das eigene Land streben. Wie könnte eine Welt aussehen, die tatsächlich politisch als Weltgemeinschaft agiert und nach Sicherheit und dem größtmöglichen Nutzen für alle Beteiligten strebt?

Darüber macht sich der chinesische Philosoph ZHAO Tingyang seit geraumer Zeit seine Gedanken und nun sind sie endlich auch auf Deutsch unter dem Titel "Alles unter dem Himmel. Vergangenheit und Zukunft der Weltordnung" bei Suhrkamp erschienen. Im System des "Tianxia 天下", ("Alles unter dem Himmel"), wie es im antiken China vor rund 3000 Jahren entwickelt und erprobt wurde, sieht er einen Ansatz für eine alternative globale politische Ordnung.

Dienstag, 19. Mai 2020

Von Baustellen und Betrachtungsweisen

Vor meinem Haus ist eine Baustelle. Seit Wochen wird die Straße aufgerissen, alte Rohre werden herausgenommen, neue verlegt. Morgens ums sieben beginnt der Presslufthammer zu dröhnen, das ganze Haus bebt. Ich bin total genervt.

Bis mir einfällt, wie begeistert Emil, der kleine Sohn einer Freundin, von der Sache wäre. Für ihn ist jedes Feuerwehrauto, jeder Bagger und jede Baustelle eine total spannende Angelegenheit, die genauestens beobachtet werden muss.
Ich versuche es also mal mit seiner Betrachtungsweise. Sehe überhaupt mal hin. Es ist wirklich spannend, wie Rohre ausgetauscht werden, was nacheinander zu tun ist, welche Maschinen es gibt und wie dick eine Asphaltdecke ist. Und weil ich letzten Endes doch immer mehr auf Menschen als auf Maschinen fokussiert bin, beobachte ich auch die Arbeiter, wie sie miteinander umgehen, wann und wie sie Pause machen...
Danke Emil!

Samstag, 16. Mai 2020

Neuer Blick auf den "Revoluzzer" von Erich Mühsam


Zum 75. Jahrestags des Kriegsendes gab es am 9. Mai auf der KulturBühne des Bayerischen Rundfunks ein Konzert mit dem Liedermacher Konstantin Wecker, das live gestreamt wurde (wie man das in Corona-Zeiten eben so macht). Dabei sang er auch seine Vertonung des Gedichts "Der Revoluzzer" von Erich Mühsam von 1907. Dabei geht es um einen Mann, "im Zivilstand Lampenputzer", der mit den Revoluzzern mitmarschiert und sich dabei höchst verwegen vorkommt.
Und er schrie: "Ich revolüzze!"
Und die Revoluzzermütze
schob er auf das linke Ohr,
kam sich höchst gefährlich vor.
Seine Hochstimmung ändert sich jedoch als die Revoluzzer beginnen, die Gaslaternen, die er sonst putzt, aus dem Boden zu rupfen, "zwecks des Barrikadenbaus".
 Aber unser Revoluzzer
schrie: "Ich bin der Lampenputzer
dieses guten Leuchtelichts.
Bitte, bitte, tut ihm nichts!

Wenn wir ihn' das Licht ausdrehen,
kann kein Bürger nichts mehr sehen.
Laßt die Lampen stehn, ich bitt! ­
Denn sonst spiel ich nicht mehr mit!"
 Doch die anderen Revoluzzer lachen ihn nur aus und der Lampenputzer schleicht sich bitterlich weinend fort.
Dann ist er zu Haus geblieben
und hat dort ein Buch geschrieben:
nämlich, wie man revoluzzt
und dabei doch Lampen putzt.
Mühsam (Bundesarchiv) 
Erich Mühsam (1878-1934) war ein deutscher Schriftsteller und Publizist, der von den Nazis im KZ Oranienburg ermordet wurde. Der Anarchist und Bohemien hat dieses Gedicht "der deutschen Sozialdemokratie" gewidmet, um sich über deren halbherzige Revolutionsversuche lustig zu machen. Der revoluzzende Lampenputzer ist eine Spottgestalt, die zeigen soll, dass der revolutionäre Elan bei manchen nur solange trägt, bis eigene Interessen in Mitleidenschaft gezogen werden.

Doch als ich dieses Gedicht jetzt wieder hörte, verfehlte es seine beabsichtigte Wirkung. Ich entwickelte stattdessen Sympathien mit dem Lampenputzer. Hat er nicht recht? Er kämpft ja nicht einmal für seine eigenen Interessen, sondern für das Gemeinwohl, wenn er will, dass die Bürger nachts auf den Straßen sicher gehen können. Geht es nicht eigentlich darum, die Gesellschaft grundlegend zu verändern, ohne alles kaputtzumachen und ohne alle positiven Errungenschaften zu verlieren, also im Grund darum "wie man revoluzzt und dabei doch Lampen putzt"?

Freitag, 24. April 2020

Corona und das China-Buch

Am Donnerstag vor Ostern war es soweit: Ich konnte das letzte Kapitel des China-Buchs (erste Fassung) unter die Rubrik "erledigt" pinnen. Tata!
Am gleichen Abend dann eine Mail vom Verlag: Das ganze Projekt wird wegen Corona auf das Frühjahr 2021 verschoben. Gutes Timing, wer weiß, ob ich sonst die letzten Wochen so diszipliniert gewesen wäre. Und wahrscheinlich eine vernünftige Entscheidung. Trotzdem...

Dafür habe ich jetzt mehr Zeit für die Überarbeitung. Und vielleicht auch wieder für den Blog. Themen gäbe es genug.

Montag, 30. März 2020

Social distancing auch für Kuscheltiere

Vorher - und irgendwann auch wieder

Zu Corona-Krisenzeiten
Die Eule hat leider keine Maske mehr abbekommen. Aber ich bin gerade am Nähen und probiere mit verschiedenen Modellen herum.

Montag, 23. März 2020

"Im Rausch des Positiven: Die Welt nach Corona"

Neulich bin ich auf einen sehr optimistischen Artikel des Zukunftsforschers Matthias Horx über die Zeit nach Corona gestoßen. Da mir dieser Aspekt in der momentanen Berichterstattung zu kurz kommt, möchte ich den Artikel und seine Gedanken mit euch teilen. (Hier das Original).

Auch Horx ist überzeugt, dass Corona die Welt grundlegend verändern wird. Um die "Angststarre" zu verlassen, bietet er als Übung (statt einer PRO-gnose) eine RE-gnose an: Man stelle sich vor, dass man schon in der Zukunft lebt, z.B. im Herbst 2020, und zurückschaut auf alles, was durch und nach Corona passiert ist. Seine Phantasien:

Mehr Nähe und Verbindlichkeit
Die geforderte soziale Distanz hat nicht zur Vereinsamung geführt, sondern zu einer neuen Nähe und Verbindlichkeit. Alte Kulturtechniken wie Langzeittelefonate wurden wieder gepflegt, auch weil plötzlich nicht mehr nur der Anrufbeantworter bzw. die Mailbox dran war.

Mehr Ruhe und Gelassenheit 
Menschen, die sonst nie zur Ruhe kamen, machten plötzlich lange Spaziergänge. Bücherlesen wurde Kult.

Ein neues Verhältnis von Mensch und Technik
Einerseits wurden Tele- und Videokonferenzen ebenso wie Homeoffice selbstverständlich. Andererseits glaubt niemand mehr, dass Technik das Allheilmittel für alle Zukunfsprobleme ist, weil man merkte, dass in so einer Krise der Mensch und das soziale Miteinander entscheidend sind.

Eine neue Weltwirtschaft
Die Wirtschaft erlebte zwar einen Einbruch, es kam aber nicht zum völligen Zusammenbruch. Allerdings änderten sich die Vorstellungen von Weltwirtschaftt: Es gibt wieder mehr Zwischenlager, Reserven, lokale Produktion, das Handwerk erlebte einen Aufschwung. "GloKalisierung" statt Globalisierung. Geld ist insgesamt weniger wichtig geworden.

"Vielleicht war der Virus nur ein Sendbote aus der Zukunft. Seine drastische Botschaft lautet: Die menschliche Zivilisation ist zu dicht, zu schnell, zu überhitzt geworden. Sie rast zu sehr in eine bestimmte Richtung, in der es keine Zukunft gibt. 
Aber sie kann sich neu erfinden.
System reset.
Cool down!
Musik auf den Balkonen!
So geht Zukunft."


Montag, 16. März 2020

Das Beste aus Corona machen

Rund um das Corona-Virus hat sich eine Szenerie entwickelt, die bis vor ein paar Wochen noch undenkbar war. Fußballfunktionäre, die sagen, dass Fußball nicht das Wichtigste im Leben ist; ein Bundeswirtschaftsminister, der bereit ist, die geliebte schwarze Null zu opfern; leere Regale; geschlossene Schulen und überhaupt alles zu und abgesagt.

Der Umwelt tut es wahrscheinlich gut. Weniger Flüge, weniger Verkehr, weniger Konsum (abgesehen vom Klopapier). Und was wird mit den Menschen, die jetzt zu Hause bleiben und keine Freunde treffen sollen? Sehen sie darin einen unerwarteten Ausstieg auf Zeit, eine Möglichkeit zur  Besinnung, zum Durchatmen, freuen sie sich auf Zeit für sich, für die Familie? Oder bedeutet diese Isolierung eher Gereiztheit, Stress, Angst, Wohnungskoller? Wahrscheinlich beides. Es ist ein großes soziales Experiment.

Im Netz finden sich immer auch Fachleute, die behaupten, dass alle diese Einschränkungen total übertrieben und unnötig sind. Und es ist noch gar nicht lange her, dass ich das auch dachte. Im Moment weiß ich einfach nicht, was stimmt. Aber die Maßnahmen laufen ja nun mal und ich habe beschlossen, sie anzunehmen und etwas daraus zu machen. Auch bei mir wurden alle Kurse etc. abgesagt. Ich kann mich also die nächsten Wochen ganz auf das China-Buch konzentrieren. Und ich habe mehr Zeit für alle Dinge, die ich zu Hause für mich machen kann: Yoga, Nähen, Chinesisch lernen, Musik machen, mein Projekttagebuch mit Ideen füllen, den Balkon neu bepflanzen, malen, Taiji üben, kochen, die Stapel ungelesener Bücher lesen, den Vögeln lauschen... Ich fühle mich fast ein bisschen wie früher vor den großen Sommerferien. Ob das so bleibt?

Donnerstag, 27. Februar 2020

Buchprojekt "Niemals China"

Im Moment schreibe ich nur sehr wenig für den Blog. Was daran liegt, dass ich sehr viel schreibe, nur eben nicht für den Blog.

Das Buchprojekt, von dem letzten Oktober schon einmal die Rede war, hat sich tatsächlich konkretisiert. Der conbook Verlag, ein Verlag für Reiseliteratur, hat eine Reihe, die sich "Was sie dachten, NIEMALS über (LAND) wissen zu wollen" nennt. Die Idee ist, in kurzen Kapiteln eben gerade nicht über die Sachen zu schreiben, die man in jedem anderen Reiseführer auch lesen kann, sondern schräg daneben über "kleine Schweinereien" und "große Tabus", Themen vom Rande, über die man normalerweise nicht so spricht. Bisher gibt es in der Reihe schon Bücher über Japan, Indien, Russland und die Niederlande. Im April erscheinen weitere Bände. Und ich schreibe am China-Buch in dieser Reihe! Wenn alles gut geht, soll es im August erscheinen. 

Es macht Spaß. Aber ich sitze jetzt eben sehr, sehr viel am Schreibtisch. Und wenn ich mal nicht vor dem Bildschirm hänge, gehen mir neue Themen durch den Kopf oder geniale Formulierungen, die unbedingt noch eingearbeitet werden müssen. Alles andere kommt zu kurz, selbst meine geliebten Mottomonate. Und der Blog. Aber ich will versuchen, in Zukunft wenigstens interessante Entdeckungen, die ich während der Recherche machen, zu teilen. 

Mittwoch, 5. Februar 2020

Filmkritik: The Farewell

Die Großmutter in China hat Lungenkrebs im Endstadium und die Familie hält es für besser, ihr nicht die Wahrheit zu sagen. Ihre Söhne sind schon vor langem ausgewandert, ein Sohn lebt in den USA, einer in Japan. Damit alle noch einmal zusammenkommen können, ohne dass die Großmutter Verdacht schöpft, wird kurzerhand die Heirat eines Enkels arrangiert. Enkelin Billie, aus deren Perspektive die Geschichte erzählt ist, soll allerdings nicht dabei sein. Die Eltern halten sie schon für zu amerikanisiert, um ihre Gefühle zu verbergen und das Geheimnis zu wahren. Billie liebt ihre Nai Nai, schließlich hat sie die ersten Jahre ihrer Kindheit bei ihr verbracht, also fliegt sie einfach hinterher und platzt zu aller Überraschung in das Familientreffen hinein.

 Autorin und Regisseurin Lulu Wang hat bei dieser Geschichte eigene Kindheitserinnerungen verarbeitet. Entstanden ist ein liebevoller, berührender und manchmal auch komischer Film über Familienbeziehungen, Vergänglicheit und Tod und den kulturell unterschiedlichen Umgang mit Gefühlen. Gemeinsam mit der Enkelin werden auch die Zuschauer*innen in die Frage hineingezogen, wie aufrichtig und ehrlich man in Beziehungen sein sollte und ob die Wahrheit immer die beste Option ist.

Der US-amerikanische Film hatte am 25.1.2019 auf dem Sundance Film Festival Premiere und kam im Dezember 2019 in die deutschen Kinos. Hier der deutsche Trailer.

Sonntag, 26. Januar 2020

Alles Gute zum Jahr der Ratte!

hamburgisch-chinesische Weihnachts- und Neujahrskooperation
Gestern hat das chinesische Neujahr angefangen. Das Schwein ist gegangen, die Ratte gekommen. Da sie das erste Tier im chinesischen Tierkreis ist, gilt ein Rattenjahr als gutes Jahr für einen Neubeginn. Jobwechsel, Umzug, neue Liebe oder auch neue Gewohnheiten können jetzt erfolgreich angepackt werden. Jedem Tier wird zudem abwechselnd eines der fünf Elemente zugeteilt: 2020 ist das Jahr der Metallratte. Das bedeutet vor allem finanzielle Chancen. Wer schon länger eine Immobilie kaufen oder ein Unternehmen gründen wollte, könnte in diesem Jahr damit erfolgreich sein. (Ich übernehme allerdings keine Verantwortung.)

In diesem Sinne: Ein kreatives, chancenreiches, erfolgreiches neues Jahr!

In China wünscht man sich übrigens neben xin nian kuai le 新年快乐 (Glückliches neues Jahr) traditionell vor allem gong xi fa cai 恭喜发财, was wörtlich so viel bedeutet wie: Möge dein Reichtum zunehmen. Klingt ein bisschen materialistisch. Aber schaden kann es ja auch nicht, gerade in einem Metallrattenjahr.

Montag, 6. Januar 2020

Die 20er Jahre sind wieder da!

Lasershow statt Böller zu Silvester in Kreuth am Tegernsee
Ich bin aus der Zeit zwischen den Jahren aufgetaucht. Silvester war ich zum dritten Mal ein paar Tage mit Mann, Schwestern, Schwagern und Nichten im Wolfgang Müller-Haus in Kreuth. Wie jedes Mal dachte ich vorher, dass das Haus für acht Personen eigentlich zu klein ist und dass wir uns auf die Nerven gehen werden. Und wie immer war es einfach nur schön, entspannt und gemütlich. Es lag sogar noch Schnee.

Nachträglich wünsche ich allen Leserinnen und Lesern dieses Blogs noch ein gutes, gesundes und inspirierendes neues Jahr!

Am Wochenende habe ich im Café meinen traditionellen Jahresrückblick und die Vorausschau auf das kommende Jahr geschrieben. Ich werde meine Mottomonate natürlich weiterführen (im Januar zum Thema "Weichen stellen"). Aber ich werde sie nicht mehr so ausführlich hier zum Thema machen. Ich wollte ein Jahr lang beschreiben, was passieren kann, wenn man sich begrenzte Zeit auf eine Sache einlässt. Als Anregung zum Selber-Ausprobieren. Das Jahr ist um, und ich hoffe, die eine oder der andere wagt den Selbstversuch. 

Was mich betrifft, so habe ich in diesem Jahr auch den Spaß am Bloggen entdeckt. Ich werde also weiterhin von Dingen schreiben, die mich beschäftigen. Von Projekten und Veranstaltungen. Und von den Büchern, die ich lese.