"Was machen Sie beruflich?"


Das berufliche Leben als Patchwork, entstanden aus Neigungen, Begabungen und - dem Zufall. Einige "Grundfarben" tauchen immer wieder auf und halten alles zusammen. Mein besonderes Interesse gilt: Sprache(n); anderen Menschen und ihren Lebensgeschichten; alternativen Lebensentwürfen jenseits von Konsum und Hektik; fremden Kulturen (insbesondere China) und den reizvollen Unwägbarkeiten interkultureller Begegnungen.

Freitag, 27. September 2019

MoMo9: Neuerfindung der Diktatur


Kai Strittmatter: Die Neuerfindung der Diktatur. Wie China den digitalen Überwachungsstaat aufbaut und uns damit herausfordert. München: Piper, 2018

Die Nachrichten der letzten Jahre aus China waren beunruhigend. Da war viel von Repressionen gegen Regimekritiker die Rede, von Einschränkungen des Internets und zunehmender Überwachung aller Bürger. Strittmatter, langjähriger Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Peking, gilt als einer der besten Chinakenner Deutschlands. Ich fand seine Artikel oft erfreulich differenziert und erhoffte mir deshalb von diesem Buch einen tieferen Einblick, der über die übliche Negativberichterstattung der deutschen Medien hinausgeht.

Montag, 23. September 2019

Deutschland-Chinesen 1: Ji Xianlin

Nachdem ich mich so lange mit der Geschichte der China-Deutschen befasst habe, interessiert mich jetzt zunehmend auch die andere Seite, die der Deutschland-Chinesen. Für die Zeitschrift des StuDeO schreibe ich gerade eine Reihe von Artikeln über Chinesen, die im Kaiserreich, in der Weimarer Republik oder während des Nationalsozialismus in Deutschland gelebt haben.

Den Anfang macht Ji Xianlin (1911-2009). Als junger Mann kommt er 1935 nach einer langen Zugreise durch Sibirien in Berlin an. Damals leben in Deutschland etwa 1800 Chinesen, davon 1000 allein in Berlin. In der Tasche hat Ji ein Stipendium des DAAD, das ihm ein zweijähriges Auslandsstudium ermöglichen soll. Doch der Überfall Japans auf China und der Zweite Weltkrieg verhindern seine Rückkehr. Aus den zwei Jahren werden schließlich zehn. Darüber hat er ein Buch geschrieben ("Zehn Jahre in Deutschland"), das aus einer Außenperspektive interessante Einblicke in das Leben im damaligen Deutschland ermöglicht.



Mittwoch, 18. September 2019

MoMo9: Gott der Barbaren


Stephan Thome: Gott der Barbaren. Roman. Berlin: Suhrkamp 2018.
"Wenn ich unter allem, was ich über Ihre Zivilisation gelernt habe, eine bewundernswerte Einsicht finde, dann diese: dass in unserer Welt nichts ein Gegenteil besitzt, das nicht zugleich es selbst ist." 
Den Satz äußert Lord Elgin, Sonderbotschafter der englischen Königin, gegenüber einer Chinesin, die kein Wort seiner Sprache versteht. Er könnte als Motto über diesem großartigen Roman stehen, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts, vor allem in China, spielt. Die Kaiserdynastie ist schwer angeschlagen: Im Süden erobern die "langhaarigen Rebellen" eine Stadt nach der anderen. Angeführt werden sie von einem Mann, der durch Missionare mit der christlichen Lehre in Berührung gekommen ist und nach einem Traum glaubt, er sei der jüngere Bruder von Jesus und Gott selbst habe ihn auserwählt, mit dem Schwert das Reich zu erobern. Dieser Taiping-Aufstand, einer der größten Bürgerkriege der Weltgeschichte, dauerte von 1851-1864 und kostete etwa 30 Millionen Menschen das Leben. 

Freitag, 13. September 2019

MoMo9: Schwierige Mutter-Tochter-Beziehung


Amy Tan: Das Tuschezeichen. München: Goldmann, 2003

Das Buch ist im Grunde noch ein Verbindungsstück zum letzten Mottomonat: Eine dramatische Mischung aus Familiengeschichte und China.
Wie oft hat sich Ruth Young als Kind für ihre Mutter Luling geschämt, die nach all den Jahren in Amerika immer noch gebrochen Englisch spricht, jeden Cent zweimal umdreht, ständig klagt, sich vor bösen Geistern fürchtet und die versucht, auch ihre Tochter in das Netz aus Aberglauben einzuspinnen, in dem sie selbst lebt. Ruth hat sich scheinbar befreit, lebt mit ihrem Freund und dessen Töchtern zusammen und arbeitet selbständig als ghost writerin (!). Mit ihrer Mutter hat sie nur noch losen Kontakt, doch als Luling an Demenz erkrankt, bricht die künstliche Entfremdung zusammen und Ruth hat den dringenden Wunsch, mehr über ihre Mutter zu erfahren. Endlich liest sie das Tagebuch, das ihr Luling schon von längerem anvertraut hat, und taucht in die Welt ihrer chinesischen Vorfahren ein, in dunkle Familiengeheimnisse und tragische Erlebnisse. Und sie erfährt von dem Fluch, der auf der Familie lasten soll und vor dem sich Luling ihr Leben lang gefürchtet hat.
Die amerikanische Bestsellerautorin Amy Tan, selbst Tochter chinesischer Einwanderer, beschäftigt sich in ihren Bücher häufig mit dem Zusammenprall chinesischer und amerikanischer Kultur und dem schwierigen Verhältnis von Müttern und Töchtern. Sie erzählt die Beziehung von Ruth und Luling einfühlsam und psychologisch plausibel und baut gleichzeitig eine Spannung auf, die einen mitreißt und immer weiterlesen lässt.
Nur das Ende ist etwas arg "happy" und versöhnlich geraten.

Samstag, 7. September 2019

MoMo9: Chinakinder

Jörg Endriss / Sonja Maass: Chinakinder. Moderne Rebellen in einer alten Welt. Conbook, 2017

Nach dem nostalgischen Rückblick auf die Altpekinger Kultur bringt uns dieses Buch wieder in die Jetztzeit. Dreißig junge Menschen aus den unterschiedlichsten Berufen und Gesellschaftsschichten kommen hier zu Wort und erzählen von ihren Problemen und Träumen. Der Punk mit den Tatoos, der die Sex Pistols mag und seinen Spaß haben will; ein junger Wanderarbeiter, der vom harten Leben auf den Baustellen erzählt und wie schwer es ist, auf dem Land eine Frau zu finden. Es gibt die junge Frau ohne Papier, die endlich ein legales Mitglied der Gesellschaft sein möchte, Schwule, die um ihre Identität kämpfen, fleißige Studierende und Aussteiger, die Ökogemüse anbauen oder ihre Kinder zu Hause unterrichten, um sie vor dem chinesischen Schulsystem zu bewahren. Neben Festlandchina kommen auch junge Leute aus Hongkong und Taiwan zu Wort. In einer kurzen Einführung erzählen die Autoren, wie sie ihre jeweiligen Gesprächspartner kennengelernt haben und geben Infos über den gesellschaftlichen Hintergrund, der für die persönliche Geschichten eine Rolle spielt. 16 Fotoseiten machen die Erzählungen auch visuell erfahrbar. Das alles ist informativ, kurzweilig und es zeigt ein vielseitiges, buntes China, das so in unseren Medien in der Regel gar nicht auftaucht und kaum wahrgenommen wird. "Aus diesen Mosaikteilchen", so hoffen die Autoren, "ergibt sich am Ende ein Bild der Generation, die China in den kommenden 30 Jahren prägen wird." Sehr empfehlenswert!

Dienstag, 3. September 2019

MoMo9: Liebeserklärung an Peking


Hans-Wilm Schütte: Literarische Streifzüge durch Peking. Gossenberg: Ostasien Verlag, 2016 (Reihe Gelbe Erde 3)

Während der ersten Woche unserer Reise wohnen wir im historischen Stadtzentrum von Peking. Und dafür habe ich einen Reiseführer der besonderen Art im Gepäck. Er führt uns durch Peking, zu Klöstern und Tempeln, in Parks und Teehäuser, durch alte Gassen und an den Häusern berühmter Literaten vorbei. Vor allem aber führt er uns durch die wechselvolle Geschichte dieser Stadt, die als machtvolles Zentrum eines großen Reiches die politische und geistige Elite des Landes versammelte und auch ausländische Besucher und Besucherinnen in ihren Bann zog – oder abstieß. Erzählt wird diese Geschichte anhand literarischer Texte über Peking, wobei der Begriff Literatur weit gefasst ist und sowohl autobiographische Texte und Reisebeschreibungen als auch Romane, Gedichte und Kabarett-Texte umfasst. Die älteste Beschreibung stammt von Marco Polo aus dem 13. Jahrhundert, die neueste aus der Jetztzeit. Der Schwerpunkt liegt jedoch auf der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als Peking nach der nationalen Erhebung der 4. Mai-Bewegung 1919 den Aufbruch in die Moderne probte und zum kulturellen Zentrum der Avantgarde wurde. Neben der Architektur geht es um die Sagen und Mythen der Stadt, vor allem aber um ihre Bewohner, um das Leben in den Gassen, die Händler und Handwerker, ihre Feste und Freizeitvergnügungen, die Tee- und Badehäuser und natürlich die kulinarischen Genüsse.
Das Buch ist ein nostalgischer Spaziergang durch vergangene Zeiten, eine Liebeserklärung an eine Stadt, die so nicht mehr existiert. Wie die einzigartige, imposante Stadtmauer, die geschleift wurde, um Platz für eine moderne, wachsende Stadt zu machen, für Schütte „ein Ereignis in einer langen Serie gezielter Kulturvernichtung“, für die er vor allem den Maoismus verantwortlich macht.
Das Buch macht trotzdem Lust, nach Peking zu reisen und – darin blätternd – dem vielleicht doch noch vorhandenen genius loci der Stadt nachzuspüren.

Sonntag, 1. September 2019

Neunter Mottomonat 2019: China

Den ganzen September über werde ich mit Jupp in China sein. Wir waren sieben Jahre nicht mehr dort und sind schon sehr gespannt (und ein bisschen bang), was sich alles verändert hat. Von Freunden, Freundinnen und Bekannten hört man ja einiges, aber jetzt können wir uns selbst einen Eindruck verschaffen. Wir freuen uns darauf, alte Freunde wiederzusehen, auf das chinesische Essen, auf unsere alten, vertrauten Lieblingsecken in Peking (wenn es sie noch gibt) und auf neue Eindrücke beim Reisen. Das Motto dieses Monats kann also nur China sein, China mit allen Sinnen.

Wasserkalligraphie im Park, Foto von 2012
Chinesisch-Deutsche Freundschaft

Hallo Ma Dina (mein chin. Name)




















Leider kann ich von dort aus meinen Blog nicht betreiben, es wird also keine jeweils aktuellen Fotos von unseren Abenteuern geben. Aber ich habe ein bisschen vorgearbeitet und Rezensionen von interessanten Büchern, die ich dieses Jahr über China gelesen habe, vorbereitet. Außerdem einen ersten Artikel über einen Deutschland-Chinesen. (Daraus soll noch eine kleine Serie werden). Es lohnt sich also auch im September, ab und zu mal reinzuschauen. Die Fotos kommen dann später.

Natürlich verdirbt diese (Flug)reise unsere Ökobilanz des ganzen Jahres. So viel Plastik können wir gar nicht einsparen, dass wir da noch auf einen vernünftigen ökologischen Fußabdruck kommen. Ich rechtfertige mich innerlich damit, dass China für uns eine besondere (auch berufliche) Bedeutung hat und dass es schwer ist, Beziehungen ganz ohne persönlichen Kontakt über lange Zeit aufrecht zu halten. Aber es bleibt ambivalent. Vielleicht haben wir bei unserer nächsten Reise genug Zeit (und Geld), um die Eisenbahn zu nehmen. Die Fahrt von Hannover nach Peking dauert ungefähr eine Woche.