"Was machen Sie beruflich?"


Das berufliche Leben als Patchwork, entstanden aus Neigungen, Begabungen und - dem Zufall. Einige "Grundfarben" tauchen immer wieder auf und halten alles zusammen. Mein besonderes Interesse gilt: Sprache(n); anderen Menschen und ihren Lebensgeschichten; alternativen Lebensentwürfen jenseits von Konsum und Hektik; fremden Kulturen (insbesondere China) und den reizvollen Unwägbarkeiten interkultureller Begegnungen.

Montag, 23. September 2019

Deutschland-Chinesen 1: Ji Xianlin

Nachdem ich mich so lange mit der Geschichte der China-Deutschen befasst habe, interessiert mich jetzt zunehmend auch die andere Seite, die der Deutschland-Chinesen. Für die Zeitschrift des StuDeO schreibe ich gerade eine Reihe von Artikeln über Chinesen, die im Kaiserreich, in der Weimarer Republik oder während des Nationalsozialismus in Deutschland gelebt haben.

Den Anfang macht Ji Xianlin (1911-2009). Als junger Mann kommt er 1935 nach einer langen Zugreise durch Sibirien in Berlin an. Damals leben in Deutschland etwa 1800 Chinesen, davon 1000 allein in Berlin. In der Tasche hat Ji ein Stipendium des DAAD, das ihm ein zweijähriges Auslandsstudium ermöglichen soll. Doch der Überfall Japans auf China und der Zweite Weltkrieg verhindern seine Rückkehr. Aus den zwei Jahren werden schließlich zehn. Darüber hat er ein Buch geschrieben ("Zehn Jahre in Deutschland"), das aus einer Außenperspektive interessante Einblicke in das Leben im damaligen Deutschland ermöglicht.



Die Deutschen erscheinen Ji "im Allgemeinen sehr nett und bescheiden, aufrichtig, überhaupt nicht hinterlistig. Manchmal wirkten sie sogar ein bisschen schwerfällig." Auffällig findet er, dass "die meisten deutschen Frauen ein hundertprozentiger Putzteufel sind". Er wohnt zur Untermiete, hat deutsche Bekannte und Professoren, doch über Politik spricht er nicht mit ihnen. Schon in Peking hat man ihn vor dem deutschen Faschismus gewarnt. "Die Deutschen gelten zwar als außerordentlich klug, aber politisch verhielten sie sich damals naiv wie kleine Kinder." Er und seine chinesischen Kommilitonen sind verletzt von Hitlers Rassentheorie, nach der die Chinesen als minderwertig gelten. Doch er selbst hat das Gefühl, ohne Vorurteile behandelt zu werden.

Er interessiert sich für alte Sprachen, ist aber unsicher, was er studieren soll. In Göttingen findet er schließlich das Fach, das ihn sein weiteres Leben begleiten wird, die Indologie. Während um ihn herum der Nationalsozialismus immer schlimmer wird und der Krieg beginnt, vergräbt er sich in das Studium von Sanskrit, Pali und Tocharisch (eine Sprache, die ca. 1000 n. Chr. in Westchina gesprochen wurde). 1941 schließt er sein Studium und die Doktorarbeit mit Auszeichnung ab. Doch neben dem Studium schildert er in seinem Buch auch Bombenangriffe und die "Hölle des Hungers". Es ist ihm unbegreiflich, wie ruhig die Deutschen bleiben, als die Niederlage immer absehbarer wird, und wie schnell sie sich - etwa durch Sonderrationen Kaffee -  einlullen lassen. "Das Bombardement hatte die Menschen erschüttert. Nun fielen durch die Güte der Herrscher einige Kaffeebohnen vom Himmel, also tranken die Menschen eine Tasse Kaffee, waren wieder frisch und sangen begeistert im Chor: 'Deutschland wird siegen'".

Als der Krieg zu Ende ist, erscheinen ihm die Deutschen "ahnungslos, betäubt, wirr, sprachlos." Er selbst ist außer sich vor Freude. Endlich kann er in sein Heimatland zurückkehren, wo er eine Professur an der renommierten Peking-Universität erhält und die Fakultät der asiatischen Sprachwissenschaften aufbaut. Wie so viele andere Intellektuelle wird er während der Kulturrevolution verfolgt, misshandelt und eingesperrt. Auch darüber hat er geschrieben. Heute gilt er als einer der renommiertesten Sanskrit- und Tocharisch-Forscher Chinas.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen