Kai Strittmatter: Die
Neuerfindung der Diktatur. Wie China den digitalen Überwachungsstaat aufbaut
und uns damit herausfordert. München: Piper, 2018
Die Nachrichten der letzten Jahre aus China waren beunruhigend. Da war viel von Repressionen gegen
Regimekritiker die Rede, von Einschränkungen des Internets und zunehmender Überwachung aller
Bürger. Strittmatter, langjähriger Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in
Peking, gilt als einer der besten Chinakenner Deutschlands. Ich fand seine Artikel oft erfreulich differenziert und erhoffte
mir deshalb von diesem Buch einen tieferen Einblick, der über die übliche Negativberichterstattung der deutschen Medien
hinausgeht.
Strittmatter beschreibt, wie die chinesische Regierung mit Xi Jinping als "Kaiser" an der Spitze und mit Hilfe der neuen Informationstechnologien ihre Macht zementiert und einen perfekten Überwachungsstaat schafft, "dem man die Überwachung oft nicht einmal ansieht, weil er sie in die Köpfe der Untertanen verpflanzt." Das Ganze garniert mit einem neuen Nationalismus, der als gesellschaftlicher Kitt dient. Und sollten Propaganda und Gedankenkontrolle nicht ausreichen, scheue sich der Staat nicht, zu Einschüchterung und Verfolgung zu greifen.
Strittmatter hatte als Korrespondent von 1997-2005
miterlebt, wie das Internet in China einen Freiraum geschaffen hatte, der
"Reformströmungen, originelle Debatten, verblüffende Experimente und
mutige Tabubrecher" zuließ. Als er 2012, nach sieben Jahren in der Türkei,
zurückkehrte, musste er feststellen, dass diese Zeit vorbei war, dass ein
anderer Wind wehte und das Internet keine Freiheit mehr verhieß, sondern
vielmehr in die Überwachungslogik der Partei eingebunden werden konnte. Die
Trauer darüber, die Wut und auch die Sorge merkt man dem Buch deutlich an. In seinem Wunsch, die Gefahren der chinesischen Autokratie
aufzuzeigen und die Welt wachzurütteln, vermischt Strittmatter alles miteinander,
Konfuzius und Mao, Geldgier und Werteverlust, Nationalismus und Internet. Seine
Beschreibung einer entsolidarisierten Gesellschaft, in der keiner dem anderen und
schon gar nicht dem Staat traut und allgemein der moralische Verfall beklagt
wird, lässt sich jedoch auch auf westliche Gesellschaften übertragen. Womöglich liegen die Gründe dafür ja nicht im Kommunismus?
Für Strittmatter aber sind die westlichen Demokratien
Leuchttürme, die er fast schon naiv verklärt. Als Gegenbeispiel zu Festlandchina dient ihm das demokratische Taiwan, wo die Bewohner angeblich alle höflich und zivilisiert miteinander umgehen und auch nachts, wenn weit und breit kein Auto zu sehen ist, an einer roten Ampel stehen bleiben. Auch der Satz, dass "die USA einst daran arbeiteten,
die Welt zu einem sicheren Ort für Demokratien zu machen" zeugt eher von
Wunschdenken als Realitätsbewusstsein, man erinnere sich nur zum Beispiel an
Chile.
Und so konstruiert Strittmatter zwei große Blöcke, hier die chinesische Autokratie, die klammheimlich, aber massiv immer mehr Einfluss in der Welt gewinnt, dort die westlichen Demokratien, die er am Ende dringlich aufruft, ihre eigenen Ideen nicht zu verraten und geschlossener aufzutreten, damit sie dem anstehenden ideologischen Kampf gewachsen sind.
Das ist alles etwas zu einfach und ziemlich schwarz-weiß gedacht.
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