"Was machen Sie beruflich?"


Das berufliche Leben als Patchwork, entstanden aus Neigungen, Begabungen und - dem Zufall. Einige "Grundfarben" tauchen immer wieder auf und halten alles zusammen. Mein besonderes Interesse gilt: Sprache(n); anderen Menschen und ihren Lebensgeschichten; alternativen Lebensentwürfen jenseits von Konsum und Hektik; fremden Kulturen (insbesondere China) und den reizvollen Unwägbarkeiten interkultureller Begegnungen.

Dienstag, 12. November 2019

MoMo11: Macht Ausmisten glücklich?

Vor einiger Zeit habe ich auf einer Veranstaltung eine Frau getroffen, die erzählte, dass sie ihren ganzen Besitz auf 500 Dinge reduziert hat (und dazu gehören auch Teller, Löffel, Socken...). Sie hat mehrere Monate dafür gebraucht. Das Ganze lag schon ein Jahr zurück und sie war immer noch überrascht, wie positiv sich dieses Reduzieren auf ihr Leben ausgewirkt hat. Seitdem habe sie mehr Zeit, mehr Geld, mehr Leichtigkeit...
Wir dürfen bleiben!
Damit liegt sie voll im Trend. Recherchiert man im Netz zu "Glück und Aufräumen" finden sich viele Ratgeber. Von "Ballast abwerfen", "Platz für die wesentlichen Dinge des Lebens", "loslassen" und "durchatmen" ist die Rede. Wie sehr das Thema den Nerv der Zeit trifft, kann man auch an der erstaunlichen Karriere der "Ordnungspäpstin" Marie Kondo sehen, einer 35jährigen US-Japanerin, die 2011 ihr erstes Buch über ihre Ordnungsmethoden veröffentlichte und damit einen Weltbestseller landete. Mittlerweiler bildet sie international BeraterInnen aus, die nach ihrer "KonMari-Methode" arbeiten, hat eine Doku-Serie bei Netflix und wurde vom Time Magazin 2015 zu einer der hundert einflussreichsten Personen weltweit gekürt. Wenn es nach ihr geht, sollte man nur Dinge behalten, die einen glücklich machen, alles andere kann weg.

Der Trend zeigt vor allem, dass wir in einer Überflussgesellschaft leben, zu viel konsumieren und dass uns das nicht glücklich macht. Natürlich kann es befreiend sein auszumisten, trotzdem glaube ich persönlich nicht an einen extrem minimalistischen Einrichtungsstil. Warum?


  • ("Nutzlose") Dinge sind nicht nur Ballast, sondern machen Räume
    Privatbibliothek
    gemütlich, individuell, besonders. Sie machen aus einem Zimmer ein Zuhause. Ich mag mein volles Bücherregal, meinen Setzkasten, die Bilder an der Wand, meine Kuscheltiere. Ich habe noch alle meine Tagebücher und unter meinem Bett auch einen Koffer mit alten Briefen.
  • Ausmisten und Lebensveränderung hängen nicht zwangsläufig zusammen. Beides kann Hand in Hand gehen, aber wer zum Beispiel nur ausmistet, um Platz (für neue Dinge) zu schaffen, bleibt in der Konsumlogik stecken. Ausmisten ist arbeitsintensiv und kann auch zum Ersatz dafür werden, dass man doch eigentlich in seinem Leben etwas ändern wollte.
    33 nutzlose Dinge
  • Sammeln von (praktischen) Dingen gehört zu einem nachhaltigen Lebensstil, das weiß jeder Bastler und jede Bastlerin. Seit ich keine neuen Klamotten mehr kaufe und wieder nähe, sammle ich Stoffreste und trenne Reißverschlüsse und Knöpfe aus kaputten Jacken und Hosen. Ich sammle Kartons (falls ich ein Päckchen verschicke), habe eine Werkzeugkiste mit vielen Nägeln, Schrauben, Unterlagscheiben ... eine Bastelkiste mit Pappe, bunten Papieren, Farben ...
  • Manche Dinge brauchen Zeit. Einige empfehlen beim Kleiderschrank-Ausmisten, alles wegzuwerfen, was man ein Jahr nicht mehr getragen hat. Ich halte das für Quatsch. Es gibt Klamotten, die ich fünf Jahre oder länger nicht getragen habe, und plötzlich gefallen sie mir wieder oder sind wieder modern. Als ich nach mehreren Jahrzehnten wieder mit dem Stricken anfing, war ich froh, dass ich meine Stricknadeln behalten hatte und nicht alles neu kaufen musste. Und vielleicht baue ich ja eines Tages auch wieder Marionetten oder male Aquarellbilder. Theoretisch könnte ich sofort loslegen...
    Los, mal doch wieder!
  • Nicht jeder Gegenstand muss glücklich machen. Bei manchen genügt es auch, wenn sie bequem oder praktisch sind. Die olle warme Strickjacke, die große fleckige Schreibtischplatte, der alte Kochtopf, das muss nicht immer gleich ersetzt werden.
Im Grunde geht es darum, die individuelle Balance zwischen Wegwerfen und Behalten zu finden. Den Besitz an den Raum anzupassen, der zur Verfügung steht, und an die eigene Lebenssituation. Es ist ein bisschen wie mit dem Körpergewicht. Die einen sind etwas stämmiger, die anderen etwas schlanker. Dann gibt es die Übergewichtigen, denen es gut täte abzunehmen. Aber es gibt auch die Magersüchtigen. (Und nur 500 Dinge zu besitzen, grenzt für mich daran).

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